Profisportler starten durch – mit IHK-Ausbildung

In Russland kämpfen diesen Monat Fußballer vieler Nationen um die Weltmeisterschaft. Die meisten von ihnen müssen sich um ihre berufliche Existenz keine Sorgen machen – auch wenn der Pokal ein Traum bleibt und die Karriere früh endet. Berufssportler, die ihr Geld nicht im internationalen Spitzenfußballverdienen, sorgen jedoch vor – zum Beispiel mit einer dualen Ausbildung. Und ihre Lehrbetriebe wissen, was sie an ihnen haben.

IHK Stuttgart
Nicole Müller (li.) war im deutschen Kader der rhythmischen Sportgymnastik bei den Olympischen Spielen in London. Nach dem Ende ihrer Sportkarriere lernte die 23-Jährige Industriekauffrau bei der GTÜ in Stuttgart – unter der Obhut von  Ausbildungsleiterin Sandra Daniel (re.). Foto: Annette Cardinale

Beruf und Sport passen gut zusammen – geht es doch bei beidem um Leistung. Dass es immer wieder Firmen sind, die Mitarbeitern eine Karriere als Spitzensportler ermöglichen, wird leicht übersehen. Viele Beispiele belegen, dass diese leistungsorientierten Kollegen ein Gewinn für die Belegschaft sind. Sie sind effizient, fokussiert, ziel- und teamorientiert. So etwa Daniel Rebmann. Schon als Sechsjähriger kommt er zum Handball. Dem Sport zuliebe verlässt der Torhüter von Frisch Auf! Göppingen nach der zehnten Klasse das Gymnasium und wird Profi unterm Hohenstaufen mit Doppelspielrecht in Herrenberg und später in Horkheim in der dritten Liga. 2013 beginnt der Mann mit den schnellen Reflexen im väterlichen Betrieb die Ausbildung zum Groß- und Einzelhandelskaufmann. „Mein Vater hat mich die drei Jahre für das Morgentraining um 9:30 Uhr freigestellt, “sagt Rebmann, der im gleichnamigen Fliesengroßhandel in Echterdingen beschäftigt war. Rebmann Fliesen betreibt einen Laden in Mannheim, importiert Fliesen aus Italien und stattet zum Beispiel alle Hugo-Boss-Stores weltweit mit Kacheln aus. Von Kollegen weiß der Torhüter, dass deren Chefs ähnlich kulant sind, um ihnen den sportlichen Erfolg zu ermöglichen. Auch mit seiner Klassenlehrerin an der Berufsschule in Nürtingen hatte Rebmann einen Deal: Gelegentlich unterrichtete sie ihn exklusiv und ließ ihn Arbeiten nachschreiben, um ihm die Teilnahme an Auswärtsspielen oder Training im Nationalkader zu ermöglichen. Und um Lernzeit zu sparen, nahm er hochkonzentriert am Unterricht teil, wovon die Gesamtnote 2,1 beim Abschluss 2016 zeugt. Sein Fazit: „Ich bin den Lehrern ,meinen Trainern und meinem Vater für ihr Verständnis sehr dankbar.“ Nicole Müller hatte ihre sportliche Laufbahn in der rhythmischen Sportgymnastik schon hinter sich, als sie 2015 bei der Gesellschaft für Technische Überwachung mbH (GTÜ) in Stuttgart eine Ausbildung zur Industriekauffrau begann, die sie diesen Januar mit Lehrzeitverkürzung abgeschlossen hat und seither in der Buchhaltung arbeitet. Als Fünfjährige hatte die jüngste von drei Geschwistern mit rhytmischer Sportgymnastik begonnen, mit 15 wechselte sie ans Bundesleistungszentrum mit Sportinternat in Fellbach-Schmiden und machte dort 2015 das Fachabitur. In der neunköpfigen Nationalmannschaft war die gebürtige Hamburgerin ab 2011 dauerhaft im sechsköpfigen Kader, aus dem je fünf Sportlerinnen synchron antreten. 2012 nahm Nicole Müller an den olympischen Spielen in London teil und belegte miti hrem Team Rang zehn von zwölf Mannschaften. Fünf bis zehn Stunden Training sechs Tage die Woche waren für die 23-Jährige fünf Jahre lang die Norm. „Bei mir war 2015 einfach die Luft raus, weil ich alles erreicht hatte, was ich mir erträumt hatte“, sagt die Ex-Spitzensportlerin. Vor allem anfangs habe sie Heimweh nach der Familie in Hamburg „und dem familiären Verein“ gehabt. In schwierigen Zeiten habe ihr die Gruppe der Mädchen Halt gegeben, „die ich doch nicht im Stich lassen kann.“ Geholfen habe auch das Persönlichkeitstraining mit einem Team-Psychologen. „Damals habe ich gelernt, dass es lohnt, eigene Interessen zurückzustellen, um als Team ein besseres Ergebnis für alle zu erzielen“, sagt die GTÜ Buchhalterin, die heute die Rechnungen freier Kfz-Sachverständiger bundesweit prüft und kontiert. Krisen kennt auch Niko Kappel. Der Goldmedaillen-Gewinner von 2016 bei den Paralympics im Kugelstoßen in Rio dachte 2013/14 ans Aufhören, weil er keinen Trainingsfortschritt mehr erkannte. Als 14-Jähriger hatte der 1,40 Meter kleine Mann
beschlossen, an Paralympics teilnehmen zu wollen. Da hatte er sich bereits beim TSF Welzheim im Fußball gegen die größer Gewachsenen durchgesetzt. Nun recherchierte er, dass er nur mit Kugel(vier Kilogramm) oder Speerbei Olympia antreten könne -und begann mit dem Training.

Ausbildung ging vor – da war der Weltrekord erst einmal weg 

Seit 2014 arbeitet Peter Salzer, Landestrainer im Kugelstoßen am Olympiastützpunkt Stuttgart, mit Kappel, der 2016 zum VfL Sindelfingen wechselte. Parallel absolviert der kleinwüchsige Mann bei der Volksbank Welzheim die Ausbildung zum Bankkaufmann, wo er 2015 in der Frmenkundenbetreuung beginnt. 2017 reduziert der Spitzensportler auf 40 Prozent, um mehr trainieren und regenerieren zu können. Denn seinen Weltrekord, den er 2017 mit 13,81 Meter erzielt hatte, hat mittlerweile ein Pole mit 13,97 Metern gebrochen. „Bei der Paralympics EM 2018 will ich den Titel holen und 2020 bei den Paralympics in Tokio antreten,“ sagt Kappel, der mit dem Wechsel vom VfL zum Olympiastützpunkt Stuttgart seinerzeit den Grundstein für seine Goldmedaille legte, weil er dort seine Technik veränderte. Seit 2014 sitzt der Behindertensportler der Jahre 2016 und 2017, der bei der Wahl des Bundespräsidenten der Bundesversammlung angehörte, für die CDU auch im Welzheimer Gemeinderat.

Zu Beruf und Sport auch noch politisches Engagement 

Seit diesem Jahr ist der 23-Jährige bei seinem Arbeitgeber freigestellt, um sich auf seine sportlichen und gesellschaftlichen Aufgaben zu konzentrieren, zu denen auch etliche TV-Auftritte und Vorträge gehören. Mehrere Sponsoren ermöglichen dem sympathischen Kraftpaket, das täglich vier Stunden trainiert, diese Selbstständigkeit. „Bisher hatte ich zum Beispiel zu wenig auf aktive Regenerationsphasen geachtet, die ich mir jetzt endlich gönnen kann“, sagt der Sohn eines Fußballtrainers und einer Tennislehrerin, der als erster Paralympionike die Kugel über 14 Meter stoßen will. Stefan Heil aus Bad Aibling ist im zweiten Ausbildungsjahr zum Medientechnologen Siebdruck im vergangenen September nach Stuttgart gewechselt, um am selben Olympiastützpunkt trainieren zu können. Laufbahnberater Herbert Wursthorn hatte ihm eine Lehrstelle bei der Eichner & Rombold GmbH in Fellbach-Oeffingen vermittelt, wo er nahtlos ins zweite Lehrjahr einsteigen konnte. Der 18-jährige BMX-Profi hatte2005 mit der Sportart begonnen, weil seine Eltern gegenüber einer Rennstrecke wohnten. Drei Jahre fuhr der Realschüler, der seit 2009 eine Bundesliga Lizenz hat und seither an internationalen Rennen teilnimmt, in der Bayernliga. 


  • IHK Stuttgart
    IHK Stuttgart